Immer noch eine unbequeme Wahrheit – Wissenschaft, Geschichte und Politik des Klimawandels
In mancher Hinsicht ähnelt Al Gores neuer Film „An Inconvenient Sequel“ (Immer noch eine unbequeme Wahrheit) seinem bahnbrechenden Projekt „Eine unbequeme Wahrheit“. Doch in anderen Punkten unterscheidet er sich und es sind diese Unterschiede, wegen derer ich Ihnen den neuen Film ans Herz lege.
Dem Film gelingen mehrere ineinander verwobene Aufgaben. Zunächst liefert er einiges in Sachen Klimaforschung. Gore gibt die Wissenschaft richtig wieder. Ich erinnere mich, dass mir sein erster Film zu voll von Klimaforschung und Daten vorkam und mein Eindruck ist, dass der neue Film diese Seite etwas verkürzt. Das ist gut so, denn die wissenschaftliche Faktenlage zum Klimawandel ist klar. Will heißen: Die Wissenschaft hat geklärt, dass aktuelle Klimaänderungen menschengemacht sind und dass wir diese Änderungen in der Natur durchweg beobachten.
Wer sich in die Kommentare unter diesem Artikel wagt, wird dort vermutlich Leute finden, laut denen Wissenschaft nie zu Klarheit führt. Doch diese Menschen sind keine Wissenschaftler. Sie arbeiten nicht Tag für Tag an diesen Themen. Sie sehen die Daten nicht. Sie wissen nicht, wovon sie sprechen.
Die Anfangsszene zeigt einen Auszug fehlgeleiteter Angriffe auf Al Gore –ausschließlich aus dem konservativen Lager in den USA. Mir war beim Zuschauen sofort klar, dass dies genau die Angriffe sind, die Klimaforscher ständig ertragen müssen. Die meisten Forscher werden noch nicht so lange und beständig attackiert wie Herr Gore, doch die Attacken, die er abwehren muss sind nahe Verwandte derjenigen, die meinen Kollegen und mir regelmäßig widerfahren.
Viele Konservative aber auch einige Progressive behaupten, dass Gore den Klimawandel politisch gemacht habe. Doch ich sehe nun, dass das nicht stimmt. Gore ist lediglich der erste große Politiker, der zu dem Thema Stellung bezogen hat. Er hätte sich dabei über jeden Unterstützer gefreut, egal aus welcher Partei. Ich bin überzeugt, dass die Leugnung, die wir durch Konservative in den USA sehen z.T. daran liegt, dass sie es nicht übers Herz bringen, zuzugeben, dass er recht hatte.
Viele entscheiden schon im Unterbewusstsein, die Erkenntnisse der Wissenschaft zu leugnen, auch wenn die Welt dadurch vor die Hunde geht. Einzuräumen, dass ein ehemaliger liberaler Vizepräsident recht hatte, wäre zu schmerzhaft. Dieses Versagen müssen sie sich vorwerfen lassen. Es wäre ein Zeichen von Reife, auf die Fakten zu schauen, auch wenn sie weh tun. Stattdessen haben viele US-Konservative ihren Nachlass an die Leugnung des Klimawandels gekettet und sich einer Bewegung angeschlossen, die der Erde, dem Leben und den menschlichen Gesellschaften auf ihr nachhaltig schaden wird.
Eine Partei, die sich „konservativ“ –also „bewahrend“– nennt, hat gegen ihre eigenen erklärten Werte gehandelt. Bei echten Konservativen sollte das Wut entfachen. Wie konnten sie zulassen, dass ihre ganze Partei sich mit diesem desaströsen Erbe beschmutzt? Es ist nicht Gores Schuld, dass die Konservativen die Identität ihrer Partei an der Leugnung des Klimawandels festmachen. Es ist nicht Gores Schuld, dass bestimmte Konservative von derselben Kohle-, Öl- und Gas-Lobby gekauft sind, die Klimaforschung und Klimaforscher angreift. Es ist nicht Gores Schuld, dass die Republikaner die Entwicklung sauberer, erneuerbarer Treibstoffe in den USA blockiert haben. Das liegt an ihnen allein. Es ist nicht Gores Schuld, dass die wenigen Konservativen, die entgegen der Parteilinie ihre Prinzipien verteidigt haben, von der eigenen Partei verstoßen worden sind. Die Politisierung der Wissenschaft ist republikanischen Ursprungs.
Die wissenschaftliche Seite des Films befasst sich mit den tatsächlichen Folgen des Klimawandels. Ob Gore mit Eric Rignot oder Konrad Steffen über Grönlands schmelzende Eispanzer spricht oder mit Städteplanern In Miami über Maßnahmen gegen steigende Pegelstände spricht, in jedem Fall bringt der Film uns die Folgen des Klimawandels vor die Haustür. Gore erinnert uns an die Vorhersagen der Wissenschaft. So sind z.B für Südflorida bis 2100 mehr als 2 Meter Meeresspiegelanstieg möglich. Städteplaner überlegen, Teile der Stadt anzuheben, um dem zu begegnen. Und nebenbei, den besten Daten zufolge könnten wirklich über 2 Meter zu erwarten sein.
Später trifft Gore Menschen, die furchtbare und überstarke Stürme wie etwa die jüngeren Taifune im Pazifik durchlitten haben. Er verdeutlicht die Forschung hinter der Aussage, dass der Klimawandel die Meere erwärmt und dadurch Stürme wie Irma, Harvey, Sandy und Maria verstärkt. In diesen Punkten trifft er den Nagel auf den Kopf.
Damit stellt sich wohl die Frage, warum ich Ihnen den Film überhaupt empfehle. Setzt er uns nicht eine große, schwarze Brille auf? Naja, hier wird es spannend. Wie kann es Hoffnung geben, während Präsident und Regierung der USA eine Klimapolitik ganz im Leugner-Modus veranstalten und nicht nur Fortschritte zurückdrehen sondern sogar die Wissenschaft sabotieren?
Erstens haben andere Staaten nun die Führung übernommen. Ich sehe das bei meiner eigenen Arbeit, nicht nur bei der Grundlagenforschung sondern auch bei der Entwicklung der Erneuerbaren. Dieses Feld steckt voller Potential. Kohle-, Öl- und Erdgasfirmen und manche konservative Politiker mögen versuchen, den Markt der Erneuerbaren zu sabotieren, können aber trotzdem die wirtschaftliche Entwicklung nicht leugnen. Es ist für uns einfach sinnvoll, Erneuerbare zu nutzen.
Erinnern Sie sich an die bildhafte Szene in seinem ersten Film, als er den Treibhausgasdaten mit einem Lift folgte, bis sie buchstäblich mit ihm aus dem Bild verschwanden? Nun, dazu gibt es im neuen Film ein ebenso einprägsames aber optimistisches Pendant, bei dem nicht die Treibhausgase sondern die erneuerbaren Energien in den Ländern der Welt in die Höhe schnellen.
Ein großer Teil der Geschichte erzählt auch Al Gores eigene Reise. In vielerlei Hinsicht spiegelt sie die Reisen der Klimaforscher und der Menschen, denen an der Umwelt gelegen ist. Wir alle haben das Auf und Ab dieser Krise erlebt. Wir haben sie zusammen erlebt, ob wir es wussten oder nicht. Interessanterweise habe ich einen vorsichtigen Optimismus gefunden, der Al Gores gleicht.
Die US-Wahl 2016 war ein Klima-Desaster und erweist sich als noch schlimmer als zu befürchten war. Der US-Präsident und der Kongress tun alles, um einen noch schnelleren und katastrophaleren Klimawandel zu gewährleisten. Sie tun alles Machbare für noch mehr Waldbrände in Kalifornien, noch mehr Marias, noch mehr Harveys, noch mehr Irmas. Sie tun alles in ihrer Macht, um uns noch mehr kalifornische Dürren und texanische Fluten zu bescheren. Sie tun ihr bestes, um der Wissenschaft den Geldhahn zuzudrehen, damit wir von alledem bloß nichts erfahren. Sie unterlassen keine Anstrengung auf dem Weg, die USA zu einer Pariah-Nation zu machen. Tatsächlich haben die USA noch während ich dies schreibe als einziges Land der Erde das Pariser Klimaabkommen abgelehnt. Das ist kaum zu fassen. Welches Land tut so etwas?
Was sie tun ist zutiefst unamerikanisch, zutiefst unkonservativ.
Doch was sie nicht zurückdrehen können, ist der frische Wind in der Wirtschaft. Menschen investieren in Erneuerbare, weil es wirtschaftlich sinnvoll ist. Und das ist der Aspekt, der die erneuerbare Revolution unaufhaltsam macht. Deshalb bin ich zuversichtlich. Deshalb ist Al Gore zuversichtlich. Das ist die Nachricht, die sich durch den Film zieht. Und der Grund, warum auch Sie Zuversicht haben sollten.
Translation by Oriolus Traillii. View original English version.